Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan...Die Darstellung Schwarzer in der deutschsprachigen Kinder- und JugendliteraturVorbemerkungen
Kinderbücher spiegeln aus einer ungewohnten Perspektive, meist aber recht deutlich die weltanschaulichen Strömungen jener Zeit wider, in der sie entstanden sind. Denn sie sollen ja auch die Wertvorstellungen der erziehenden Generation an die Kinder weitergeben. Das führt dazu, dass unter geänderten politischen Verhältnissen auch alte Kinderbücher oft einer kritischen Beurteilung unterzogen werden. |
Zur Einleitung: Ein Querschnitt durch Klischees und Vorurteile am Beispiel einiger KinderbücherDiese beispielhaft vorgestellten, tendentiell die kulturelle Unterlegenheit Schwarzer betonenden Klischees wurden zurückgreifend auf Ansichten, die bereits im 18. Jahrhundert formuliert wurden, ab Mitte des 19. Jahrhunderts ausgeformt, erreichten mit dem Eintritt Deutschlands in den Kreis der Kolonialmächte ihren vorläufigen Abschluss und wirkten bis weit in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg fort . |
Schwarze sind wie Kinder. Sie bedürfen unserer Anleitung um sie in Religion zu unterweisen und ihnen die Zivilisation näherzubringen. Sie bitten uns geradezu darum (Links: Komm herüber und hilf uns!, Neues Missions-Bilderbuch, 1893). |
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Natürlich sind diese Schwarzen keine ernstzunehmenden Gegner und wir können fröhlich singen: "Maikäfer, fliege! Soldaten sind im Kriege, Schießen auf die Hottentotten, Die durch Sand und Büsche trotten.." ( Oben links:
Kiwitt! Ein Scherzbuch für Kinder, 1905) |
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Negerkinder sind niedlich. Sie kommen zwar so wie im Falle der 10 (oder 12) kleinen Negerlein oft durch eigenen Unverstand ums Leben, aber dann kommen sie (manchmal) in den Himmel, wo sie von (weißen) Englein begrüßt werden (Links und Mitte: Die zwölf kleinen Negerlein, Fritz Gareis, 1910(?) |
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Schwarze sind Witzfiguren, wenn sie versuchen, die Zivilisation des weißen Mannes zu imitieren und mit Zylinder, Gamaschen und Regenschirm herumstolzieren (Links: Titelzeichnung der Kinderzeitung Kiebitz, Heft 21 aus 1940). |
Die Wahrnehmung Schwarzer bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhundert |
In der christlich geprägten und von kolonialen Erfahrungen mit Schwarzen noch weitgehend unbeeinflussten Tradition des deutschen Sprachraumes bestanden bis ins 19. Jahrhundert keine grundsätzlichen Ressantiments gegen dunkelhäutige Menschen. Wird doch schon - wie bibelfeste Leute wussten - in Salomos Hohelied mit berührenden Worten eine dunkelhäutige Schönheit besungen (..Ich bin braun, doch anmutig und hübsch...Seht mich nicht an, weil ich so schwarz bin...Mein Geliebter ist weiß und rosig..). Gerne wird darüber spekuliert, ob sich darin die legendäre Liebesbeziehung Salomos zu der gleichfalls legendären Königin von Saba widerspiegelt, die schön, klug, unermesslich reich und vor allem schwarz gewesen sein soll.
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Ab dem Spätmittelalter entstanden eine Reihe von Wappen für Adelsgeschlechter, Städte, geistliche Würdenträger und Stifte, die einen Mohrenkopf zeigen und bis heute in Verwendung stehen. Der Ursprung dieser Darstellungen ist oft ungewiss. Es wird in diesen Fällen vermutet, dass es sich um Reminiszenzen an die Teilnahme an einem Kreuzzug, einen Namen des Wappenträgers, der an Mohr erinnert oder einfach um eine zunächst farbliche Fehlinterpretation einer älteren Vorlage handelt. Wesentlich ist, dass ein (oft gekrönter) Mohrenkopf als durchaus angemessene Wappenzier angesehen wurde. |
Unter Mohr verstand man damals alle dunkelhäutigen Menschen, ursprunglich Mauren, später wurden zur besseren Unterscheidung Schwarzafrikaner auch als 'schwarze Mohren' bezeichnet. Eine darüberhinausgehende Differenzierung nach Rassen, welche ja erst die eigentliche Grundlage für die vergleichende Beurteilung der Rassen und damit für jede Form von Rassimus ist, war damals noch nicht üblich.
Im 17. und 18. Jahrhundert war es an adeligen Höfen Mode, einen Hofmohren in Dienst zu haben. Wenngleich primär das exotisch Aussehen dieser Leute Anlass war, sie in Dienst zu nehmen, gereichte ihnen ihre Hautfarbe nicht zum Nachteil und sie konnten, wenn sie tüchtig waren, durchaus Karriere machen und zu gesellschaftlichem Ansehen kommen. |
Eine andere gut dokumentierte Geschichte ist jene des vermutlich um 1725 geborenen Schwarzen Ignatius Fortuna, der als Kind nach Deutschland kam und im Dienste der Fürstäbtissin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach, Karriere machte. Er starb 1789, Jahre nach dem Tode der Fürstäbtissin als angesehener und wohlhabender Mann in Steele. Das Schicksal eines Angelo Soliman blieb ihm erspart. Er wurde nächst der letzten Ruhestätte seiner Förderin in allen Ehren beigesetzt.
Zuletzt soll von dem schwarzen Sklavenmädchens Machuba erzählt werden. |
Links:Angelo Soliman; Mitte: Machuba; Rechts: Fürstäbtissin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach mit Ignatius Fortuna |
Bereits im 18. Jahrhundert wurden auf wissenschaftlicher Ebene jene Gedanken entwickelt, auf welchen die Vorstellung von der Überlegenheit der weißen Rasse fußt. Diese Auffassung setzte sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts allgemein durch, ohne allerdings besondere Auswirkungen in der gesellschaftlichen Realität zu haben. Die relativ wenigen Schwarzen, die ins Land kamen und meist unter dem Schutz adeliger Herrn standen, wurden mit gelassener Toleranz behandelt. Sie befanden sich zwar in der Regel in dienender Funktion, das entsprach aber der damaligen Gesellschaftsstruktur. Ihre Hautfarbe stand weder einer Karriere noch einem gesellschaftlichen Aufstieg entgegen. |
Entstehung und Ansätze zur Überwindung der Rassenlehre und des Rassismus
Die Erforschung der Welt im 18 Jahrhundert und die Katalogisierung der vorgefundenen Lebewesen legten es nahe, die Vielzahl der verschiedenartigsten Tiere und Pflanzen in eine systematische Ordnung zu bringen und zueinander in verwandtschaftliche Beziehungen zu setzen. Bereits 1735 veröffentlichte Carl von Linné sein Werk "Systema Naturae", in welchem er die Grundlagen für ein Klassifikationssystem schuf, das in modifizierter Form auch heute noch Anwendung findet. Die unterste Gruppe dieses Gliederungssystems stellt die Art dar. Im allgemeinen versteht man darunter Lebewesen, die sich untereinander nicht nur paaren, sondern auch fortpflanzungsfähige Nachkommen hervorbringen können. Mischlinge aus verschiedenen Arten, die sich paaren können, sind in der Regel unfruchtbar, wie etwa Maulesel und Maultier, die von Pferd und Esel abstammen. |
Diese verschiedenen Unterarten der Spezies Mensch wurden nun beschrieben, nicht nur nach äußeren Kriterien, sondern auch in Bezug auf körperliche, geistige und kulturelle Leistungsfähigkeit. Es war unvermeidlich, dass dabei eine Wertung vorgenommen wurde, wobei sich der europäische Weiße natürlich den Spitzenplatz sicherte, womit die Grundlage für jeden Rassismus geschaffen war. In jener Zeit kam auch der Ausdruck 'Neger' für Schwarzafrikaner in Gebrauch (negroide Rasse). |
"...Im Schausaal für Kinder werden drei Großrassen - 'Europide', 'Mongolide' und 'Negride' - in einer implizit hierarchisierenden Darstellungsweise auf weißem, gelbem und schwarzem Hintergrund vorgestellt. Worin sehen Sie den pädagogischen Wert der anthropologischen Ausstellung für Kinder, in der offensichtlich eine unwissenschaftliche, fälschlich vereinfachte und hierarchisierende Darstellung von 'Rassen' gezeigt wird?......
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Schwarze in Kinderbüchern des ausgehenden 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts |
Links: Gumal und Lina, Kaspar Lossius, 1795 'Eine Geschichte für Kinder, zum Unterricht und Vergnügen'. Religiöse, ethische und soziale Wertvorstellungen werden in kindergerechter Form vermittelt, wobei dem belehrenden Greis als fiktive Ansprechpartner Schwarze dienen, weil diese 'noch keine richtige und gegründete Erkenntnis von Gott und den Wahrheiten der Religion hatten'. Das Buch steht in der Tradition der Aufklärung, Schwarze werden nicht abschätzig beurteilt, sie bedürfen aber - wie Kinder - der Belehrung und Unterrichtung. |
Links: Im Struwwelpeter, Heinrich Hoffmann, 1845 findet sich die bekannte Episode von den 'schwarzen Buben'. Weil sie den 'kohlpechrabenschwarzen' Mohrenknaben wegen seiner Hautfarbe verspotteten, wurden sie vom 'großen Nikolas' in ein Tintenfass getunkt, sodass sie 'noch viel schwärzer' waren 'als das Mohrenkind'. Die Moral von der Geschicht' ist eindeutig und gereicht Hoffmann zur Ehre: Man soll jemand wegen seiner Hautfarbe nicht verspotten, oder gering achten. |
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Oben: Jambo und Jumbo, Egon Hugo Strassburger, Bilder von Hermann Fenz, Brandus'sche Jugendbucher, herausgegeben von 'Jugend und Kunst', Berlin 1909 |
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Schwarze in Kinderbüchern des ausgehenden 19. und in der erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
Das Deutsche Reich trat erst ab 1884 in den Kreis der großen europäischen Kolonialmächte ein und erwarb innerhalb kürzester Zeit ausgedehnte überseeische Besitzungen. In Afraka waren das: Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Witu, Kamerun, Togoland. Die Inbesitznahme folgte meist einem allgemein geübten Prozedere. Private Handelsniederlassungen wurden zunächst zu Schutzgebieten erklärt und später direkt der staatlichen Verwaltung unterstellt. Gleichzeitig wurde eine auch territoriale Interessensabgleichung mit anderen in der gleichen Region agierenden Kolonialmächten gesucht und mit militärischer Bedeckung durch die Schutztruppen die Besiedelung und Verwaltung auf das Hinterland ausgedehnt. In vielen Fällen bildete ein mit einheimischen Häuptlingen und anderen Repräsentanten geschlossener Schutzvertrag die rechtliche Grundlage hiefür. |
Links: Der Feldzug gegen die Hereros, herausgegeben vom Großen Generalstabe, Berlin |
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Links: Aus Kamerun, 1885, Christian Wilhelm Allers. Es ist die älteste mir bekannte deutschsprachige Kinderbuchversion von 'Zehn kleine Negerlein'. Das 8. Negerlein wird vom Bauern totgeschlagen, weil es Rüben gestohlen hat. |
Das deutsche Kolonialzeitalter dauerte nicht lange. Im ersten Weltkrieg gingen sämtliche Kolonien verloren und wurden nach der Niederlage 1918 unter den Siegermächten aufgeteilt. |
Links und Mitte: Titelblätter der satyrischen Zeitschrift Kladderadatsch aus den Jahren 1915 und 1916, auf denen der Einsatz farbiger Kolonialsoldaten auf den europäischen Kriegsschauplätzen durch England und Frankreich angeprangert wurde. |
Schwarze in der Kinder- und Jugendliteratur der Zwischenkriegszeit
Nach dem ersten Weltkrieg nahmen Schwarze keine besondere Stellung mehr im Deutschen Jugendbuch ein. Es gab zwar eine rückwärtsgewandte Kolinialliteratur, die sich aber mangels aktueller Bezüge auf Reiseberichte und Erinnerungen reduzierte. |
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Oben links: Hatschi Bratschis Luftballon, Franz Karl Ginzkey. Das Buch erschien erstmals 1904 im Verlag Seemann, fand in der Zwischenkriegszeit weite Verbreitung und wurde zu einem Klassiker der deutschsprachigen Kinderliteratur. Die Abbildung zeigt eine Illustration zur sogenannte Menschenfresserepisode, die einer 'politischen Säuberung' zum Opfer gefallen ist und in Ausgaben ab den späten 60er Jahren fehlt. Inzwischen werden von Kinderbuchsammlern für ältere Ausgaben, welche noch die Originalversion enthalten, hohe Preise bezahlt. |
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Ein oft als besonders diskriminierend interpretiertes Beispiel ist diese Version der 10 kleinen Negerlein aus den 20er Jahren, deren neuntes Register statt eines Negerleins ein Äffchen zeigt. |
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Nicht ganz so drastisch, aber tendentiell auf der selben Linie die Kinderzeitschrift Der heitere Fridolin, Ullstein. Ganz links: Ein Titelblatt aus 1925; links: Foto von der Afrikareise eines Mitarbeiters der Zeitschrift: ...wie er von der Frau Negerpräsident (Liberia) und ihren Kindern begrüßt wurde...Es gab Heuschrecken in Lehmsoße mit Kokusnußkompott.. |
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Eine Sonderstellung nimmt die Romanheftserie Rolf Torring ein, die zwar nicht für Jugendliche bestimmt war, wenn man aber vom Leserkreis ausgeht, sehr wohl zur trivialen Jugendliteratur gerechnet werden kann. Die Serie erschien von 1930 bis 1939 mit insgesamt 445 Einzelheften, wurde auch nach dem zweiten Weltkrieg mehrfach neu aufgelegt, nachgedruckt und durch neue Abenteuer ergänzt und zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten Heftromanserien des deutschen Sprachraumes. |
Die Darstellung Schwarzer in der Kinder- und Jugendliteratur der frühen NachkriegszeitNach dem zweiten Weltkrieg bis weit in die 60er Jahre ist weder ein breitenwirksames Umdenken in der Einstellung Schwarzen gegenüber festzustellen, noch änderte sich im Kinder- und Jugendbuch ihre bildliche Darstellung, die sich weiterhin an den tradierten, karikaturhaften Klischees orientierte. |
Links: Ausschnitt aus der humoristischen Zeitschrift Der Liebe Augustin, Wien, 1949. "Sag Bosambo, hat die nicht süße Beine?" - "O ja! Direkt zum Fressen!" Neger und Menschenfresser gehörten zum Standardrepertoire der Witzezeichner. |
Wie sehr diese Darstellungsmuster in den Köpfen verankert waren und geradezu unbefangen eingesetzt wurden, zeigen diese beiden Ausschnitte aus der Kinderzeitung Unsere Zeitung, die ganz gewiss nicht im Verdacht steht, rassistisches Gedankengut verbreitet zu haben. |
Links 10 kleine Negerlein erschienen in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Krieg in zahlreichen Neuauflagen. |
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Erst ab etwa Anfang der 70 er Jahre änderte sich die Darstellungsweise deutlich. Die karikierende Betonung von Rassenmerkmalen (wenn man das so überhaupt sagen darf) wurde aufgegeben und schwarze Kinder wurden besonders niedlich, wie kitschige Negerpüppchen dargestellt. |
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